Von Autos und Strickmaschinen

Selbst der passionierteste Wanderer wird, wenn er sich ans Steuer eines Autos setzt, statt eines schmalen Wanderwegs oder Jägerpfads lieber eine richtige Straße benutzen. Die üblichen Autos sind nämlich für kleine, ungepflasterte Wege quer durchs Gelände nicht gedacht.

Ähnlich verhält es sich mit Strickmaschinen. Das Stricken von Hand ist vergleichbar mit einem schönen, ruhigen Waldweg. Es geht eher langsam voran, und wie einzelne Schritte arbeitet man jede einzelne Masche. Der Weg ist das Ziel.

Das Stricken mit Maschine hingegen ähnelt einer Fahrt auf der Landstraße, wenn nicht sogar auf der Autobahn. Bei korrektem Vorgehen bilden sich die einzelnen Maschen schneller, als man gucken kann. Sehr flott kommt man ein großes Stück voran. Allerdings kann man nicht einfach mittendrin stoppen und quasi ein paar Schritte zurückgehen, um das Panorama zu bestaunen oder spontan einen anderen Weg einzuschlagen. Gute Planung ist unabdingbar, und zwischendurch den Plan zu ändern ist kaum möglich.

Jedem Autofahrer ist auch klar, dass man den Weg zum Bäcker um die Ecke am besten zu Fuß bewältigt, denn bis man das Auto aus der Garage geholt und einen Parkplatz beim Bäcker gefunden hat, wäre man mit den Brötchen per pedes schon zurück zum Frühstück. Analog lohnt sich der Einsatz einer Strickmaschine vor allem dann, wenn man für ein Modell mehrere hundert oder gar tausende Meter Garn verarbeitet.

Das ist auch einer der Gründe, weshalb Standard-Strickmaschinen in erster Linie für dünne Garne gedacht sind, die viele Handstrickerinnen gar nicht erst in Betracht ziehen würden. Die Maschine ermöglicht es, die Teile für z.B. einen Herrenpullover aus 4fach-Sockengarn in wenigen Stunden anzufertigen. Auch deshalb ist ein Umdenken nötig: Mit der Strickmaschine verarbeitet man dünneres Garn als von Hand, und man strickt schneller als von Hand. Wer maschinell partout die gleichen Garnstärken verarbeiten will wie zuvor von Hand, der hat nicht verstanden, worum es eigentlich geht: Nicht das genießerische Bilden einzelner Maschen ist das Ziel, sondern die rationelle Anfertigung von perfekt passenden Kleidungsstücken.

Womit wir zum nächsten Punkt kommen: Es gibt kaum fertige Anleitungen für Strickmaschinen, und wenn doch, dann sind sie häufig just für einen Maschinentyp gedacht, den man selbst nicht hat. Was also tun? Selbst berechnen lautet die Antwort. Und wenn man ohnehin rechnen muss, kann man auch gleich die Maße eines Schnitts aus einer Anleitung so modifizieren, dass das fertige Modell dem zukünftigen Besitzer optimal passt. Dann nur noch eine Maschenprobe machen, die Maschen und Reihen dem angepassten Schnitt entsprechend ermitteln, und das Stricken kann beginnen.

Seit einigen Jahren gruseln sich mehr und mehr Handstrickerinnen vor dem Zusammennähen von einzelnen Strickteilen. Deshalb stricken sie am liebsten alles in einem Stück und rund. Und das wollen sie auch mit der Strickmaschine machen. Theoretisch ist es zwar mit einer Doppelbett-Maschine möglich, aber praktisch ist es wesentlich aufwendiger und fehleranfälliger als das Anfertigen flacher Einzelteile. Wer also mit einer Strickmaschine liebäugelt, sollte sich gleich darauf einstellen, zukünftig das meiste zusammenzunähen (wiewohl man einiges direkt an der Maschine zusammenfügen kann). Tatsächlich ist Matratzenstich bei maschinegestrickten Teilen völlig unproblematisch. Im Gegensatz zu ungleichmäßigen Handstrick-Rändern hat man nämlich saubere Randmaschen, die sich schnell und exakt zusammenfügen lassen.

Maschinengestrickte Modelle sind von handgestrickten kaum zu unterscheiden, außer dass sie meistens ordentlicher aussehen. Dennoch sollte sich jeder, der über die Anschaffung einer Strickmaschine nachdenkt, darüber klar sein, dass die Handhabung und das gesamte Vorgehen sich wesentlich vom Handstricken unterscheidet. Maschinestricken ist eine eigenständige Disziplin, die erst mehr oder weniger mühsam erlernt werden muss. Wer dazu nicht bereit ist, kann sich die Anschaffung gleich sparen.

Niemand käme auf die Idee, sich ein Auto zu kaufen, um die Wanderungen am Wochenende oder im Urlaub schneller zu absolvieren. Autos sind gedacht für lange Strecken, die man ganz sicher nicht zu Fuß geht. Ähnlich verhält es sich mit einer Strickmaschine. Man verarbeitet damit hauptsächlich Garne, die einem fürs Handstricken im allgemeinen zu dünn sind, zu Modellen, an denen man von Hand sehr lange arbeiten würde und die eher langweilig zu stricken wären.

3 Gedanken zu „Von Autos und Strickmaschinen“

  1. Danke für diesen schönen Vergleich!
    Man kann schöne Beobachtungen machen: viele, die beabsichtigen, eine Maschine anzuschaffen, meinen, darin sei gleich einem modernen Fahrzeug, ein Navigationsgerät eingebaut. Man stellt das Ziel ein, beispielsweise einen passenden, wunderbar gemusterten Pullover, tritt aufs Gas – äh… spannt das Garn ein… und der Apparat prescht los. Innerhalb kürzester Zeit fällt das fertige gewünschte Objekt vom Nadelbett.
    Andere neiden einem den Maserati: die fertigen Stücke werden als Strickwerk minderer Güte angesehen. Es fehlt nämlich der adelnde Handschweiß, der nur durch die beharrliche Einhaltung der eigenen Strickgeschwindigkeit erworben wird. Gleich einem Fahrzeug, das mittels obstinat eingestellter Drosselung der Geschwindigkeit den zügigeren Fahrzeugen das frühere Ankommen am Ziel missgönnt.

    Somit gehören die Apparatestricker zu einer Elite: betrachtet man die Strickdatenbank Ravelry, kann man feststellen, dass es knapp 1500 Anleitungen für die Handstrickapparate gibt, aber knapp eine halbe Million für Handstricker. Nun ja: es gibt auch mehr Spazierwege als Autobahnen.
    Ich sehe schon: ein weites Feld … in jedem Fall steht fest: Zu Fuß gehen und Autofahren machen im Hinblick auf das Ziel gleichermaßen Freude

  2. Ich geh dann lieber weiter wandern – um in Deinem Bild zu bleiben. Schön, wieder etwas von Dir zu lesen.

    Herzliche Grüße

    Andrea

  3. Vielen Dank für den durchdachten und gut aufgebauten Beitrag! Dies klingt sehr einleuchtend! Ich freue mich immer wieder, Sie zu lesen….

    Viele Grüße von Barbara

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