Die verstrickte Dienstagsfrage 5/2011

Das Wollschaf fragt diesmal:
Ich beobachte häufig, dass Strickstücke, die von einer Vorlage gestrickt wurden, überschwänglich gelobt werden, auch wenn es ein simples Teil ist, dass hunderte Male im Netz gezeigt wurde.
Selbst entworfene Sachen bekommen häufig sehr wenig Beifall, obwohl da doch richtig Können und Mühe drinsteckt.
Sehe ich das falsch? Und wenn nicht, warum ist das so?
Vielen Dank an Reni für die heutige Frage!

Das klingt interessant. Ich habe bisher nicht besonders drauf geachtet, aber es könnte etwas dran sein.
Tja, warum ist das so? Vielleicht weil vor allem das Nacharbeiten von vielfach gestrickten Teilen einen direkten Vergleich ermöglicht. Man kann sozusagen Masche für Masche nachvollziehen, wie jemand anders etwas bewerkstelligt, durch das man sich selbst ebenfalls gekämpft hat oder noch kämpfen will. Das gibt einem das Gefühl der Verbundenheit mit all den anderen Strickerinnen, die bereits das gleiche Schicksal durchlitten und die gleichen Triumphe gefeiert haben. Und das wird dann natürlich honoriert.
Wenn ich hingegen einen Pullover selbst entwerfe, maßgestrickt für eine bestimmte Person, abgestimmt auf ihren Körperbau und ihre Vorlieben, dann kann ich meistens nicht einmal diese “Anleitung” ohne gründliche Überarbeitung weitergeben. Oft verwende ich Garne, die nicht mehr erhältlich sind; die Maße sind nicht standardisiert, sondern für eine bestimmte Person berechnet; die Muster entsprechen nur meinem Geschmack; die Ausarbeitung ist für meinen Arbeitsablauf optimiert. Da ist nichts, womit sich jemand anders identifizieren könnte.
Ich habe einmal probiert, eine solche Anleitung weitergabefähig zu machen, weil eine Frau behauptete, unbedingt eine Zopfmusterjacke nachstricken zu wollen. Es kostete mich mehrere Stunden, alles auf Standardgrößen umzurechnen und eine gut lesbare Anleitung zu verfassen. Dafür bekam ich dann nicht einmal ein Dankeschön. Vermutlich war die Empfängerin entsetzt, dass die Anleitung mehrere Seiten umfasste und sich die Jacke nicht von selbst strickte. Jedenfalls habe ich nie wieder etwas von ihr gehört.
Seither schreibe ich übrigens keine “Anleitungen auf Zuruf” mehr, sondern erkläre höchstens, wie man sich selbst etwas ausrechnen kann. Wem es an den dazu erforderlichen geistigen Fähigkeiten gebricht, der kann sich immer noch eine Standard-Anleitung kaufen und sie nachstricken. Das bringt sowieso mehr lobende Kommentare. 😉