Ampel-Gehampel

Kürzlich auf dem Heimweg (zu Fuß!) beobachtete ich an einer beampelten Kreuzung, wie drei Autofahrer noch einmal kräftig Gas gaben, als die Ampel von Grün auf Gelb umschaltete. Der erste kam noch bei Gelb über die Kreuzung, beim zweiten und dritten zeigte die Ampel schon Rot. Für mich war das Verhalten der drei Fahrer nicht nachvollziehbar, wenn auch typisch für den hiesigen Verkehr. Ich hätte in so einer Situation eher eine Vollbremsung hingelegt, statt zu beschleunigen, denn für mich bedeutet Gelb, dass die Kreuzung geräumt bzw. frei gehalten werden soll. Aber ich bin ja auch nicht von hier.

Also fragte ich die weisen Frauen beim Stricktreff, was die Thüringer Autofahrer veranlasst, unbedingt noch bei Spätgelb bzw. Frührot über Kreuzungen zu brettern. Und natürlich bekam ich umfassende Auskunft. Es verhält sich mit den Ampeln nämlich analog zu den Lebensmittel-Einkäufen vor Feiertagen. Jeder weiß, dass man vor einem Feiertag und erst recht vor einem langen Wochenende mit Feiertagen so viel wie möglich einkaufen muss, weil die Supermärkte danach aller Wahrscheinlichkeit nie wieder öffnen. Wer das nicht glaubt, der beobachte mal am Samstag vor Weihnachten, wie voll die Einkaufswagen und wie lang die Schlangen an den Kassen sind. Man mutet sich solchen Aufwand doch nicht grundlos zu.

Und genau so, wie eine Hausfrau die endgültige Schließung sämtlicher Supermärkte fürchtet, geht der Thüringer Autofahrer davon aus, dass eine einmal errötete Ampel niemals wieder grün wird. Folglich beeilt er sich, sie noch vorher zu passieren, um nicht für den Rest seines Lebens an der Kreuzung zu stehen. Eigentlich ganz einfach und logisch, oder?

Für mich wird damit auch klar, weshalb der Thüringer absolut keine Eile mit dem Anfahren hat, wenn eine Ampel doch wieder grün geworden ist. Er erwartet ja, dass sie mindestens für die nächsten Wochen in diesem Zustand bleibt. Folglich ist es für ihn nicht nachvollziehbar, wenn nach 30 Sekunden, in denen er überlegt, ob er tatsächlich fahren soll und wo wohl der erste Gang liegt, hinter ihm gehupt wird. Extrem missmutig und langsam fährt er also los. Langsam vor allem, weil 150 Meter weiter die nächste Ampel steht, und sie zeigt Rot. Dass sie schon lange grün sein dürfte, wenn er in seinem Schneckentempo dort ankommt, ist unwesentlich, und überhaupt genügt es ihm ja, wenn er sie bei Spätgelb überqueren kann.

Aufgrund dieser Verhaltensweisen erstaunt es nicht, dass ein Durchsatz von fünf Fahrzeugen pro Grünphase hier schon einen guten Schnitt darstellt. Ich habe es auch schon erlebt, dass in einer Grünphase nur ein Linienbus und sonst kein weiteres Fahrzeug eine Einmündung querte, weil die Fahrzeuge weiter vorn zu langsam waren, um überhaupt Platz für die nachfolgenden zu schaffen.

So manchem Thüringer täte zu Vergleichszwecken eine Fahrt durch eine Großstadt wie Berlin oder Hamburg bestimmt gut, damit er mal sieht, wie flott man an einer Ampel starten kann und wie das den Verkehrsfluss verbessern kann.

3 Gedanken zu „Ampel-Gehampel“

  1. Genau das Problem hab ich hier bei mir im Landkreis München auch. Und erschwerend kommt noch hinzu, daß a) der gemeine Autofahrer nicht mehr zu wissen scheint, daß in Bayern auf einer nicht mit Schildern limitierten Landstraße durchaus 100kmh Höchstgeschwindigkeit gefahren werden dürfen und man b) bei Gelb tunlichst den Gang einlegen bzw. bei den neumodischen Autos auf Bremse oder was auch immer steigen sollte, um die Karre wieder anzuschmeissen und bei Grün dann losfährt, so wie ich es schon 1980 in der Fahrschule gelernt hab, wie es mir auch 2012 beim Motorrrad-Führerschein in der Theorie wieder gelehrt wurde, und wie unsere Azubine uns letzes Jahr erzählt hat, als sie ihren Schein gemacht hat. Und oberdoof find ich Fahrer mit dicken fetten Autos, von denen ich dann höre, sie müssten spritschonend fahren. Da sag ich dann nur immer: kleineres Auto braucht weniger Sprit 🙂
    Liebe Grüße
    Ruth

  2. Ich sag’s immer wieder: Stricktreffen bildet und das nicht nur Handarbeiten betreffend! 😉
    Ich freue mich schon auf unseren nächsten Bildungskurzurlaub.

  3. Oh, das ist nicht nur eine Thüringer Eigenart! Hier in Bremen gibt es diese Ampel-Hampler genauso. Eine neue Unart ist es, die Radfahrerampel, die einige Sekunden früher auf grün schaltet, auch als Autofahrer zu nutzen und schon bei rot loszufahren. Und das viele Autofahrer es unter ihrer Würde befinden, den Blinker zu benutzen…
    Man fragt sich wirklich, was in den Fahrschulen heutzutage gelehrt wird.

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