Der Zweck heiligt die Mittel

Es war einmal eine ebenso patente wie organisatorisch begabte Strickerin, die schuf aus einer aktuellen Notlage ein kleines Wohltätigkeitsnetz, um anderen zu helfen. Sie hatte viele Freundinnen, die sie leicht mobilisieren konnte, und gemeinsam arbeiteten alle mit und halfen, was die Nadeln und Wollreste hergaben. Es wurden Muster gefertigt und spezielle Anleitungen geschrieben, und alles wurde kostenlos zur Verfügung gestellt. In der Folge wurde unsere Organisatorin geradezu berühmt und kam sogar in die Zeitung. Dennoch machte sie überhaupt kein Aufhebens um ihre Arbeit, sondern blieb still und bescheiden wie je.

Als es vom zeitlichen und finanziellen Aufwand her für sie unzumutbar wurde, alles allein zu erledigen, gab sie die Organisation in die Hände von zwei ebenso engagierten Frauen, die fürderhin die Sache mit derselben ruhigen Effizienz organisierten. Alles lief wie am Schnürchen.

Das ärgerte eine andere Frau, die ebenfalls gern mal gute Fee genannt sein wollte und überhaupt das Gefühl hatte, niemand habe sie richtig lieb oder lobe sie je genug. Deshalb überlegte sie, wie sie so etwas, wie sie meinte, besser aufziehen könnte. Sie suchte sich zwei Mitstreiterinnen. Aber auch zu dritt war schnell klar, daß sie niemals soviel erreichen würden wie unsere erste Strickerin, die problemlos hunderte von guten Strick-Geistern mobilisiert hatte. Also ersann unsere kleine Nachahmerin einen Trick. Sie ließ eine Website bauen, auf der sie verkündete, wie wunderbar und großartig ihre Aktion sei. Sie stellte niedliche Bildchen auf die Website, die willfährige und unterbeschäftigte Strickerinnen noch willfähriger machen sollten. Und sie nahm die Anleitungen, die frei verfügbar waren, schrieb sie ein wenig um, änderte hier ein Wort und dort einen halben Satz und fand nun, daß sie sie gut als ihre eigenen ausgeben könnte.

Die Website war nun so gut wie fertig, aber es galt noch, Besucher dahinzulocken. Also ging sie dorthin, wo sie sicher sein konnte, andere Strickerinnen zu finden, und hinterließ Nachrichten: Auf ihrer Website sei Info zu dieser wunderbaren und großartigen Aktion, nebst Anleitungen und niedlichen Bildchen, und vor allem gebe es ein Gästebuch, und alle sollten kommen und sich ins Gästebuch eintragen. Dabei sollten sie bitte vor allem angeben, woher sie über diese wunderbare und großartige Aktion erfahren hätten (denn unsere kleine Person war zu dumm, Logfiles auszuwerten, aus denen sie das ebensogut hätte erkennen können). Außerdem sollten sie bitte viel Lob und Zuspruch und Bewunderung hinterlassen, denn danach sehnte sie sich ja besonders.

Und die ersten Besucher kamen. Sie bestaunten die wunderbare und großartige Aktion, die niedlichen Bildchen und die schönen Anleitungen, hinterließen neben der Angabe, woher sie gekommen waren, viel Lob und Zuspruch und machten sich sofort ans Stricken, um der Besitzerin der Website möglichst schnell und möglichst viel Gestricktes zuzusenden. Denn die meisten Strickerinnen sind gutherzig und gutmütig, glauben alles, was man ihnen erzählt und tun alles, was man ihnen sagt, wenn es nur einer guten Sache dient. Ja, ich glaube sogar, sie würden einen Dateianhang mit einem offensichtlichen Virus drin anklicken, wenn man ihnen sagt, daß damit einem frierenden Kind auf dieser Welt geholfen wäre. (Ich kann Euch versichern, daß keinem einzigen frierenden Kind auf dieser Welt durch das Anklicken eines verdächtigen Dateianhangs geholfen wird, sondern Ihr müßt danach nur stundenlang Euren Computer neu installieren, aber das wißt Ihr hoffentlich selbst.)

Unsere kleine Nachahmerin las nun dankbar und glücklich, was ihr die Besucher ins Gästebuch schrieben. Soviel Lob und Zuspruch hatte sie ihr Lebtag nicht bekommen, und endlich fühlte sie sich zufrieden und anerkannt.

Dummerweise kam ihre wunderbare und großartige Aktion auch denen zu Ohren, die im ersten Wohltätigkeitsnetz aktiv gewesen waren. Es tauchten plötzlich unangenehme Bemerkungen auf an den Orten, wo sie alle Strickerinnen einlud, ihre wunderbare und großartige Website zu besuchen. Es kamen peinliche Fragen, woher denn wohl die schönen Anleitungen eigentlich stammten. Aber die kleine Person war nicht gewillt, all das Lob und die Bewunderung einfach aufzugeben und behauptete keck, wer hier peinliche Fragen stelle und unangenehme Bemerkungen mache, sei nur neidisch auf ihren wunderbaren und großartigen Erfolg.

Ich weiß nicht, ob diese Geschichte hier zu Ende ist oder ob sie noch weitergeht. Ich kann Euch nur sagen, daß sie wahr ist. Vielleicht ist sie der Beweis dafür, daß Frechheit siegt, der Zweck tatsächlich die Mittel heiligt und manche Menschen eben so wenig liebgehabt werden, daß sie ihr Geltungsbedürfnis auf andere Weise befriedigen müssen.

10 Gedanken zu „Der Zweck heiligt die Mittel“

  1. Wunderschön geschrieben und leider sehr wahr! Das kann ich nur bestätigen und finde es immer wieder traurig, wie sich manche Menschen mit den Federn anderer Leute schmücken müssen, um selbst mal ein bisschen im Vordergrund zu stehen.
    Danke für den wahren Bericht!
    Luna

  2. Über Luna habe ich hierher gefunden und finde es beschämend, dass so etwas passiert bzw. dass sich jemand so etwas überhaupt erlaubt. Allmählich habe ich den Eindruck, nachdem ich solches schon mehrmals in verschiedenen Foren gelesen habe, dass einigen Leuten nötiges Feingefühl fehlt.

  3. ein trauriges,gemeinsames ,aber leider auch wahres Kapitel in der Geschichte der Wohltätigkeit hast Du zu einer sehr schönen Geschichte zusammengeschrieben.
    Ich wünschte mir,das die Beischeidenheit wieder Herr wird über die Geltungssucht…

  4. Hallo,

    auch ich habe über Lunas Blog hiervon erfahren. Es ist scheinbar wirklich so, dass die Dreistigkeit siegt. Ich verstehe und will vor allem nicht verstehen, wie jemand sooooo futterneidisch sein kann und eine gute Sache a) zu hintertreiben und b) für das eigene Ego zu missbrauchen.

    Es ist doch so, dass selbst jene, die liebend gerne bei den Wohltätigkeitaktionen mitmachen würden, davor zurückschrecken, wenn es immer wieder zu solchen Aktionen kommt.

    Man kann wirklich nur den Kopf schütteln.

    Liebe Grüße, Ricarda

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