Das Wollschaf fragt diesmal:
Die heutige Garnfarben scheinen mir “unreiner” als in den 80er oder zu Beginn der 90er Jahre. Sie leuchten bei gleichem Farbton weniger, sind “milchiger”, “schmutziger”, “melierter”, “verwaschener”. Und bei aller Buntheit ist die Farbwelt der Garne dadurch langweiliger und unscheinbarer geworden. Kaum noch ein Farbton ist wirklich als edel oder elegant zu bezeichnen, es ist viel 08/15 dabei. Die Tatsache, dass immer mehr Farbverlauf-Produkte in immer mehr Variationen auf den Markt geworfen werden, täuscht nur schlecht über die Tatsache hinweg, dass die wirklich edlen Farbtöne einfach nicht mehr existieren. Dabei meine ich nicht den eigenen Geschmack (ob einem Blau, Grün, Braun, Grau oder Pink steht, ist eine ganz andere Frage), sondern die Farbtonqualität. Mich würde interessieren, ob andere das auch so sehen, und ob sich damit das Angebot dem Markt angepasst hat, oder durch Kostensenkungen und andere wirtschaftliche Gesichtspunkte einfach an der Farbqualität gespart wird.
Vielen Dank an Martine für die heutige Frage!
Soweit ich es mit meinen nunmehr drei Jahrzehnten Strick- und Garnerfahrung beurteilen kann, sind Garnfarben und -strukturen überwiegend orientiert an der jeweiligen Mode. Und die Mode spiegelt in einem gewissen Maße die Lebenseinstellung der entsprechenden Epoche wider. Die 80er, das war die Zeit, in der die Frauen in die Businesswelt kamen. Ihre Kleidung war an die Anzüge der Männer angelehnt, strenge Kostüme und Hosenanzüge mit Schulterpolstern. Kaum jemand trug damals Kleider. Die Farben waren “cool” bis schrill, alle Nuancen waren wie nach Blau verschoben. Statt Grün gab es die verschiedensten Türkis-Töne, statt Orange gab es pink, statt warmem Rot unendlich viele Lila-Schattierungen. Gelb, Beige oder Braun kamen überhaupt nicht vor (die hatte man nach den 70ern offenbar satt), dafür fand man jede Menge Grau. Es waren durchgängig Farben, die mir überhaupt nicht stehen, und ich hatte damals echte Probleme, mich vernünftig anzuziehen.
Als ich dann Anfang der 90er in der Hamburger U-Bahn (Linie U1 zwischen Kellinghusen- und Hudtwalckerstraße, ich werde es nie vergessen) erstmals wieder eine Frau in Weinrot, Ocker und Moosgrün sah, war das für mich wie eine Erlösung. Allmählich wurden die kalten Leuchtfarben durch dezentere, tragbarere Töne abgelöst, und natürlich wirken solche Farben verwaschen und vielleicht auch “schmutzig”, verglichen mit grau-shockingpink-jadegrün.
Im Lauf der Zeit änderte sich das Bewusstsein hin zu mehr Ökologie, und damit wurden auch melierte und Naturtöne modisch. Ich machte innerlich Luftsprünge, als Beige endlich wieder Modefarbe wurde. Leider bekommt man diese Farbe mittlerweile auch nicht mehr, die Mode ist wieder zurück bei Grau. Aber wenigstens ist es nicht mehr das glatte, gelackte, kalte Grau von vor 30 Jahren, sondern eines mit mehr Eigenleben, so wie man heute auch z.B. im Berufsleben Menschen mit Persönlichkeit mehr schätzt als solche, die nur funktionieren wie Roboter.
Natürlich sind wir noch nicht am Ende der Entwicklung, denn es wird nie enden. In den nächsten Jahren wird sich das allgemeine Bewusstsein weiter verändern, in welche Richtung auch immer, und die Mode und damit auch die Modefarben werden folgen.