Im Rausch der Geschwindigkeit

Zu den faszinierendsten Aspekten des Strickens mit Maschine gehört die Geschwindigkeit, mit der man mühelos Reihe auf Reihe makelloser Maschen produziert.

Jede Anfängerin hat es schon erlebt: Ritsch – eine Reihe fertig. Ratsch – die nächste Reihe. Ritsch-ratsch-ritsch-ratsch – aber wieso sind da am Rand plötzlich keine Maschen mehr auf den Nadeln?
Weil man vor Begeisterung über das Tempo den schlechten Abzug am Rand übersehen hat. Durch den schnellen Richtungswechsel hatte das Garn nicht genug Zeit, sauber Maschen zu bilden und hat dann die ersten Nadeln einfach übersprungen. Und was macht eine Nadel, wenn der Schlitten quasi ohne Faden vorbeikommt? Genau, sie wirft die vorhandene Masche ab.

Derartige Vorkommnisse sind frustrierend, aber die damit verbundenen Schäden sind meistens überschaubar. Im Großen und Ganzen läuft es hinaus auf ruinierte Nadeln, gerissenes Garn und den Verlust von Zeit und Strickspaß. Das Gute an solchen und anderen Missgeschicken ist, dass man daraus lernen kann.

Nehmen wir den Abzug am Rand. Wenn davon nicht genügend vorhanden ist, können die Maschen im Randbereich kleiner werden als die in der Mitte. Wenn man sehr schnell strickt, können sie so klein werden, dass der Faden nicht mehr korrekt durchgezogen werden kann, vor allem nicht bei hoher Geschwindigkeit. Dann fallen die Maschen. Eine weitere beliebte Ursache ist Schlaufenbildung am Rand mit nachfolgendem Fadengewurschtel. Wenn die Nadel nicht weiß, welche der sieben oder so herumlungernden Schlaufen sie erfassen soll, nimmt sie keine, und die Masche fällt.

Vorsorge ist in diesem Fall einfach: Man hängt je ein kleines Krallengewicht an die Ränder, etwa drei bis vier Reihen unterhalb des Nadelbetts. Etwa alle 20 Reihen hängt man es wieder hoch. Wenn man dann noch das Stricktempo etwas drosselt und nach jeder Reihe prüft, ob die Randmaschen vorhanden und sauber abgestrickt sind, ist man weitgehend auf der sicheren Seite Das „Prüfen“ geht mit etwas Erfahrung sehr schnell. Man bekommt nämlich einen Blick dafür, ob eine Nadel oder Masche aus der Reihe tanzt, und kann eine drohende Katastrophe verhindern.

A propos Katastrophe: Richtig entmutigend wird es, wenn auf einen Fehler noch diverse andere folgen. Angenommen, die Randmaschen sind gefallen, und die losen Fäden haben ein Durcheinander verursacht, in dem sich der Schlitten verfängt. Er lässt sich weder vor noch zurück bewegen. Was nun?

Das Wichtigste: Ruhe bewahren! Mit Hektik und Panik kommt man nicht weiter. Meine Vorgehensweise bei Strick-Katastrophen ist ungefähr so:

  1. Gewichte entfernen, denn sie könnten noch mehr Maschen in den Abgrund ziehen. Den Kamm aber drin lassen! Der wird beim Weiterstricken gebraucht.
  2. Abstreifer entfernen. Er versperrt die Sicht und kann möglicherweise beim Abheben mitsamt dem Schlitten Nadeln beschädigen, die darin verhakt sind.
  3. Für Brother den Drehknopf hinten rechts am Schlitten auf „CR“ („Carriage Release“, d.h. Schlitten lösen) stellen und den Schlitten abheben. Das geht wesentlich einfacher ohne Abstreifer.
  4. Schlitten beiseite stellen und sofort wieder auf N (bzw. KC beim Musterstricken) zurückstellen, weil man es später leicht vergisst.
  5. Maschen aufsammeln: Alle losen Fäden erst einmal ignorieren. Die letzte „heile“ Randmasche mit Arbeitshaken oder Deckernadel zu fassen bekommen und auf die Randnadel hängen. Alle anderen abgestürzten Maschen ebenso bergen und einhängen.
  6. Den Arbeitsfaden ergreifen und das Gestrick behutsam Masche für Masche und Reihe für Reihe aufziehen, bis das Level der heilen Randmasche erreicht ist. Gleichzeitig den Reihenzähler für jede aufgelöste Reihe um eins zurückstellen.
  7. Falls einzelne andere Maschen noch weiter gefallen sind, kann man sie von hier aus fast immer hochhäkeln oder durchstricken. Die dazu nötigen Fäden laufen vor den Maschen entlang. Achtung, bei mehreren Reihen nicht die Reihenfolge der Fäden durcheinanderbringen! (Ihr dürft raten, woher ich weiß, dass das schnell mal passiert…)
  8. Schlitten auf der Faden-Seite aufsetzen, Abstreifer anschrauben, einfädeln und weiterarbeiten.
    So weit, so einfach.

Kommen wir zu den Folgefehlern.

Wenn ihr vor dem Weiterstricken vergessen habt, den Schlitten auf „N“ zurückzustellen, hört ihr beim Strickversuch ein hässliches Knirschen, die Nadeln werden vorgeschoben und nicht gestrickt. In diesem Fall sofort stoppen. Abstreifer und Schlitten wieder abnehmen, alle Nadeln von Hand zurück in ihre Ausgangsposition bringen, Schlitten diesmal wirklich auf N stellen, Abstreifer dran und es noch einmal probieren.

Wenn beim Strickversuch alle (oder fast alle) Maschen fallen, war der Faden nicht korrekt eingefädelt oder irgendwo verklemmt. Sobald kein Faden auf dem richtigen Weg an einer Masche vorbeikommt, fällt nämlich die Masche, siehe oben. Deshalb nach dem Einfädeln immer probieren, ob sich der Faden im Nüsschen leicht und ohne Behinderung auf und ab bewegen lässt. Wenn das nicht geht, neu einfädeln.
Selbstverständlich muss der Faden außerdem oberhalb und unterhalb des Schlittens straff sein, sonst produziert man neues Gewurschtel. Das aufgezogene Garn hat man also vorher tunlichst zurück auf die Kone bzw. das Knäuel gewickelt.

Wenn man nach einigen Reihen feststellt, dass das Gestrick nicht überall glatt herunterhängt, sondern sich irgendwo etwas aufbauscht und keinen richtigen Abzug hat, dann hat sich beim Aufribbeln ein Faden im Maschengitter verfangen. Das passiert leicht, wenn man beim Aufziehen der Maschen in einen Geschwindigkeitsrausch verfällt. Es ist ziemlich einfach, dieses Problem zu beheben, solange nur wenige Reihen gestrickt wurden: Man schiebt einige Nadeln links und rechts des Bausch-Bereichs in E-Position und schiebt auch die Maschen etwas nach vorn. Nun kann man (meistens) erkennen, hinter welchen Pfosten sich der Faden gelegt hat. Mit der einen Hand hält man das Gestrick im „Unfallbereich“ etwas fest, mit der anderen Hand und dem Arbeits- oder einem Häkelhaken holt man die Schlaufe hinter dem Maschengitterpfosten hoch und lässt sie davor wieder fallen. Danach die vorgeschobenen Nadeln wieder in die richtige Position bringen, und es kann weitergehen.

Wenn einem erst nach 12 oder mehr Zentimetern auffällt, dass sich ein Faden verfangen hat, ist es meistens zu spät für die oben beschriebene Rettungsaktion. Entweder hat der Faden dann schon eine große Schlaufe aus den benachbarten Maschen gezogen, die man kaum noch gleichmäßig zurückverteilen kann, oder er ist schlicht gerissen.

Dies ist nur eine kleine Auswahl der Probleme, die bei überhöhtem Stricktempo auftreten können. Sie zu beheben kann sehr zeitraubend sein (ihr dürft raten, woher…). Nach meiner Erfahrung lohnt es sich deshalb nicht, die maximale Geschwindigkeit auszureizen. Wenn man langsam und überlegt vorgeht und Schlitteneinstellungen und Nadelbett immer im Auge behält, treten die meisten Fehler gar nicht erst auf. Die Folge: Das gewünschte Modell wird tatsächlich schneller fertig als bei Höchstgeschwindigkeit.

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